Es fing alles ganz harmlos an. Sommer 1991; eine Schulfreundin kam nach einem einjährigen USA-Aufenthalt zurück nach Berlin. Wir hatten uns ab und zu geschrieben; an günstig in die USA telefonieren, Handys oder gar Internet war noch nicht zu denken. Als wir uns das erste Mal wieder trafen (ich glaube es war noch am Tag ihrer Rückkehr), holte sie eine Kassette aus ihrer Tasche und spielte sie mir vor.
Wie sich kurze Zeit später rausstellte, war es das MTV Unplugged Konzert von R.E.M., das am 10.04.1991 in den Chelsea Studios in New York aufgenommen wurde. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis mich die Musik in ihren Bann gezogen hatte. Ich empfand die Musik als komplett: Hip Hop Elemente (Radio Song), fröhliche Up-Beats (Shiny Happy People), tiefe Baselines (Low), und eben dieser eine Song; der Song mit der Mandoline als Lead-Instrument und diesem unbeschreiblichen Text – „Losing My Religion.“
That’s me in the corner
That’s me in the spotlight
Losing my religion
Trying to keep up with you
And I don’t know if I can do it
Oh no, I’ve said too much
I haven’t said enough.
Ich kannte R.E.M. bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Doch dieser Song brannte sich in meinen Kopf. Ich war in jenem Sommer mit meinen Eltern in den USA, die Familie besuchen. Ich lag im Garten und hörte die Musik ohne Pause auf meinem Walkman – tagein, tagaus. Ich konnte und wollte mich dem nicht entziehen.
Dabei weiß ich bis heute nicht wirklich, worum es in dem Song geht. Eines ist sicher, es geht nicht um Religion. Es ist eine Metapher. Die Phrase „Losing My Religion“ kann für vieles stehen. Michael Stipe weiß, worüber er gesungen hat. Gerade jetzt zum 25. Jubiläum des Songs hat er in einem Interview noch einmal betont, dass der Text perfekt sei, und dass er nichts daran ändern würde. „In meiner Welt ist der Songtext eindeutig und klar.“ Doch er lässt den Zuhörern ihre Interpretation, und gibt nicht preis, was er damit ausdrücken wollte.
Ich hab mich viele Jahre gefragt, was mich an diesem Song so begeistert. Es kann ja nicht nur die Mandoline sein. Wobei es wirklich eine sensationelle Melodie ist, komponiert von Peter Buck. Eines Tages kam er mit dem fertigen Song zu Mike Mills, Michel Stipe und Bill Berry. Sie waren begeistert, und Mills versuchte eine Baseline hinzuzuschreiben, kam aber nicht voran. Es wollte nicht wirklich passen. In einem Interview sagte er einmal, dass er sich die Inspiration im Endeffekt bei Fleetwood Mac holte. Fleetwood Mac habe ich zu der Zeit auch sehr gerne gehört.
Michael Stipe wiederum erzählte in einem anderen Interview, dass seine Hauptinspiration für den Text der Song „Everybreath you take“ von The Police gewesen ist. Ich liebe diesen Song. Stipe war ebenso davon begeistert, und wollte einen noch besseren, unvergänglichen Song schreiben. Ich glaube, es ist ihm gelungen. Er hat den Song in einem Stück aufgenommen. Zwar hat er nach wenigen Zeilen immer wieder eine Pause eingelegt, aber die Aufnahme entstand in einem Stück. Am Ende wusste er, dass ihm mit der Aufnahme etwas Besonderes gelungen ist.
Doch es ist nicht nur der Song an sich. Es gibt meines Erachtens nur wenige Musikvideos, die in die Geschichte eingegangen sind. Das Video zu „Losing My Religion“ gehört zweifelsfrei dazu. Als Regisseur wurde der indische Künstler Tarsem Singh von Michel Stipe engagiert. Der Grund dafür: Stipe war so begeistert von seinem Video zum Song „Tired of Sleeping.“, welches Tarsem Singh für Suzanne Vega gedreht hatte. Suzanne Vega, eine meiner absoluten Lieblingskünstlerinnen. Ich war gerade letzte Woche auf einem Konzert von ihr in Berlin. Wer sich die beiden Videos anschaut, wird die Parallelen sehen.
In dem Video sieht man Michel Stipe tanzen. In einer Art und Weise, wie man ihn später auf vielen Konzerten immer wieder hat tanzen sehen. Es ist schwer zu beschreiben. Er hat quasi seinen eigenen Stil entwickelt. Zumindest habe ich das lange Zeit gedacht. Bis ich jetzt in einem Interview mit ihm gehört habe, dass er sich den Tanzstil von Sinéad O’Connor „Nothing Compares to You“ abgeguckt hat. Sinéad O’Connor findet man auch sehr weit oben in meiner persönlichen Top10 Liste.
Es hat lange gedauert, bis sich diese ganzen Informationen zu einem Puzzle zusammengesetzt haben. Aber vielleicht erklärt dies meine Verbundenheit zu dem Song. Auch heute noch, 25 Jahre nach der Veröffentlichung und fünf Jahre, nachdem sich R.E.M. aufgelöst haben.
But that was just a dream
Try, cry, why try
That was just a dream
Just a dream
Just a dream, dream.
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