Der ganz normale Bahnsinn oder eine olfaktorische Katastrophe

Freitagabend in Berlin. Es ist 23 Uhr und ich bin auf dem Heimweg vom U-Bahnhof Schönhauser Alle. Auch wenn die Entfernung recht groß ist, stellt sich die eigentliche Fahrt als recht einfach dar. Mit der U2 von Schönhauser Allee bis Alexanderplatz, und dann von dort mit der RB14 bis Falkensee Finkenkrug. So weit, so gut.

Die Fahrt mit der U2 gestaltet sich relativ problemlos und unspektakulär. Am Alex angekommen mache ich mich auf den gefühlt 10km langen Weg zur Regio. Ich laufe zügig durch die langen Gänge mit den gelbgrünen Kacheln. Irgendwie sind alle sehr schnell unterwegs; wahrscheinlich versuchen sie noch irgendwo einen Zug, eine Tram oder einen Bus zu bekommen. An allen noch geöffneten Imbiss-Ständen haben sich relativ lange Schlangen gebildet; insbesondere bei McDonalds und einem Dönerstand. Dort macht sich gerade ein Mann mit seinem eingepackten Dürüm auf den Weg. Er ist ca. 1.90 groß, hat nur noch wenig Haare auf den Kopf und dürfte etwas älter sein als ich. Ich vermute, dass er gerade vom Schichtdienst auf dem Weg nach Hause ist, denn seine Klamotten sehen doch eher nach Arbeitskleidung aus.

Es sind wirklich viele Menschen unterwegs. „Klar, ist ja auch Freitagabend“, muss ich mich von einer Freundin per WhatsApp aufklären lassen. Und sie fügt noch ein „kuschelig“ hinzu. Oben auf dem Bahnsteig angekommen erhöht sich die Personendichte noch einmal deutlich. Dabei kommt mein Zug erst in zehn Minuten. Ein Asiate spricht mich von der Seite an, ob dies der richtige Weg nach Potsdam ist. Nun ja, die Richtung stimmt, sage ich ihm, aber er müsse dann noch mal irgendwo umsteigen. Er lächelt mich an und zieht von dannen. Keine Ahnung, ob er verstanden hat, was ich gesagt habe, aber er schien zufrieden zu sein.

Links neben mir stehen zwei Mädels, irgendetwas zwischen 16 und 20 Jahre alt. Sie scheinen ein Pärchen zu sein, zumindest knutschen sie miteinander, was aus meiner Sicht dafür spricht. Das eine Mädel hat eine schwarze Lederjacke, moderne Bluejeans mit Loch-Optik (unser Sohn bringt diese Mode fast jeden Tag kostenlos aus der Schule mit nach Hause!) und eine blau-rote Punkfrisur. Die andere macht mit ihrem weißen TankTop (eigentlich ist es viel zu kalt dafür) und ihrer schwarzen Jeans einen eher zurückhaltenden Eindruck.

Endlich kommt der Zug. Immerhin kein Ersatzzug (regelmäßige Regionalbahnfahrer werden wissen was ich meine). Aber natürlich ist der Zug freitagabends nicht so lang wie sonst. Warum auch, es sind ja auch nicht so viele Leute unterwegs wie tagsüber. Der Zug ist schon voll als er einfährt. Allerdings steigen viele Fahrgäste aus, so dass es mir gelingt, einen Sitzplatz zu ergattern. Es sind zwei Plätze nebeneinander frei, und ich entscheide ich für den Platz am Gang. Neben mich setzt sich ein Mann. Ich erkenne ihn wieder, es ist der Typ vom Dönerstand. Er hat ihn inzwischen schon angefangen zu essen. Meine Vermutung, dass er direkt von Schichtdienst kommt, verfestigt sich, als mir sein Schweißgeruch in die Nase steigt. Na ja, man kann nicht alles haben, denke ich so bei mir. Der Zug steht immer noch und wird immer voller. Eigentlich passt niemand mehr hineinan, aber irgendwie rücken alle noch enger und enger zusammen, so dass es am Ende passt.

Der Zug fährt an. Ein schwarzer Rucksack mit goldener Schnalle drückt sich in mein Gesicht. Eigentlich mag ich den Geruch von Leder, aber in der Situation hätte ich auch gerne darauf verzichtet. Immerhin lenkt er vom Schweißgeruch auf meiner rechten Seite ab. Nachdem der Rucksack sich wieder etwas von meinem Gesicht entfernt hat, erblicke ich ein Pärchen, so ca. Mitte 20. Er mit schwarzer Nickelbrille, ungepflegtem, unvollständigem Dreitagebart und reichlich Schwierigkeiten sich aufrecht zu halten. Sie mit rötlichen langen Haaren und einem bunt gestreiften Turnbeutel (ich weiß, es heißt heute Rucksack). Die beiden knutschen in der engen Bahn, und er versucht die ganze Zeit, seine Hand in ihre hintere rechte Hostentasche zu stecken. Dies gelingt ihm allerdings nicht, was sicherlich seinem Promillestand geschuldet ist. Als der Zug stark abbremst und in den nächsten Bahnhof einfährt, fällt er auf seine Freundin, die sich dadurch auch nicht mehr halten kann, und die beiden fliegen halb durch den vollen Zug. Sie fallen nur deswegen nicht zu Boden, weil dafür kein Platz ist.

Am Bahnhof Friedrichstr. kann ich durch das Fenster beobachten, wie eine sechsköpfige Familie versucht, mit Fahrrad und Doppelkinderwagen einzusteigen. Dafür ist aber definitiv kein Platz. Die Zuginsassen, die sich in der Nähe der Tür aufhalten, kommunizieren gegenüber der Familie mit ihrer Berliner Schnauze auch recht deutlich, was sie von dem Vorhaben halten. Dennoch fühlt sich auch der Zugführer genötigt noch einmal darauf hinzuweisen, dass der Türbereich freigehalten werden soll, da es sonst nicht weitergeht – wie sinnlos.

Das Drängeln und Schubsen geht weiter bis zum Bahnhof Spandau. Dort steigen wirklich viele Fahrgäste aus. Ich wusste gar nicht, dass Spandau so beliebt ist. Endlich Luft zum Atmen geht es mit durch den Kopf. Doch der Gedanke hält nicht lange an, denn nur wenige Momente danach rülpst der Typ mit dem Döner rechts neben mir in meine Richtung. Endgültig bedient bin ich, als sich das knutschende Pärchen auch noch mir gegenüber setzt. Allerdings scheint sie keine Lust mehr auf die ganze Nummer zu haben, denn sie macht ihren Pulli zu, zieht sich die Jacke an und hält den Rucksack auf dem Schoss. Jedoch scheint er das schon gar nicht mehr so richtig mitzubekommen.

In Falkensee-Finkenkrug angekommen laufe ich zum Auto und denke an die WhatsApp Nachricht meiner Freundin. Unter kuschelig verstehe ich eigentlich etwas anderes…

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Jahrgang 1974, im Sog der Großstadt mit verrückten Typen; im Bann des Basketballs von ALBA Berlin; im offenen Diskurs mit den Medien und deren Protagonisten - immer mit eigener Meinung, mal glücklich und zufrieden, mal fassungslos und erschrocken...

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